10-stündige Bahnfahrt erschüttert nicht Beweiswert einer AU
Chefarzttätigkeit ist anstrengender als 10-stündige Bahnfahrt
Der Chefarzt einer orthopädischen Abteilung einer Rehaklinik unterhielt eine Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes, weil seine Familie rund 1.000 km von der Klinik entfernt in Süddeutschland lebte. Im August 2021 kündigte er sein Arbeitsverhältnis unter Einhaltung seiner vertraglichen Kündigungsfrist ordentlich zum 28.02.2022. Nach Ausspruch der Kündigung war er bis zum 02.02.2022 an insgesamt 48 Kalendertagen arbeitsunfähig. Am 08.02.2022 sagte er die Teilnahme an einer regelmäßig stattfindenden Dienstbesprechung aus gesundheitlichen Gründen ab. Am darauffolgenden Tag meldete er sich bei seinem Arbeitgeber krank und fuhr mit der Bahn rund zehn Stunden zu seinem 1.000 km entfernten Familienwohnsitz in Süddeutschland. Nachfolgend legte er dem Arbeitgeber eine am 10.02.2022 durch seine Hausärztin ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) für den Zeitraum vom 09.02.2022 bis zum 22.02.2022 vor. Ab dem 22.02.2022 trat er seinen bereits zuvor mit dem Arbeitgeber abgestimmten Resturlaub an und nahm am 01.03.2022 in einer anderen Klinik eine neue Beschäftigung als Oberarzt auf. Der Arbeitgeber zweifelte wegen der 10-stündigen Bahnfahrt die Krankschreibung an und verweigerte die Entgeltfortzahlung für den Zeitraum zwischen dem 09.02.2022 und 21.02.2022. Die daraufhin vom Chefarzt erhobene Zahlungsklage hatte Erfolg. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht allein deshalb erschüttert, weil diese einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist – insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist – betreffe, argumentierte das Gericht. Zwar möge die Motivation eines Arbeitnehmers am Ende des Arbeitsverhältnisses nachlassen. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass eine AU in diesem Zeitraum unrichtig sei. Die Belastung durch die Bahnreise sei nicht annähernd mit derjenigen einer Chefarzttätigkeit vergleichbar. Ob der Chefarzt über das Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hinaus, also während seines Urlaubes, noch arbeitsunfähig war, sei unerheblich. Es sei dem Chefarzt nicht verwehrt, seinen Urlaub für die eventuell notwendige weitere Genesung zu nutzen, anstatt sich auf § 9 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) zu berufen, wonach nachgewiesene Arbeitsunfähigkeitstage auf den Jahresurlaub nicht anzurechnen sind, LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.07.2023, Az. 5 Sa 1/23.
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