Beweiswürdigung ist Sache des Gerichts
Ein Arbeitgeber wollte das Arbeitsverhältnis mit einer Bürokraft innerhalb der Probezeit kündigen und behauptete im anschließenden Kündigungsschutzprozess, er habe der Arbeitnehmerin das Kündigungsschreiben im Beisein von drei Zeugen übergeben wollen. Nachdem diese sich geweigert habe, das Schreiben entgegenzunehmen und den Empfang zu quittieren, sei es auf ihren Schreibtisch gelegt worden. Da die Arbeitnehmerin den Zugang der Kündigung bestritt, wurden die vom Arbeitgeber benannten Zeugen vom Gericht vernommen. Obwohl diese den Sachvortrag des Arbeitgebers inhaltlich übereinstimmend bestätigten, gab das Gericht der Kündigungsschutzklage statt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass bei der Würdigung von Zeugenaussagen die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Aussagepsychologie zu berücksichtigen seien. Maßgeblich sei, ob die Schilderungen auf tatsächlich Erlebtem beruhen – erkennbar etwa an sogenannten Realkennzeichen – oder ob sie ergebnisorientiert konstruiert erscheinen. Das Vorliegen von Realkennzeichen spreche für die Glaubhaftigkeit einer Aussage. Im Streitfall hätten die Aussagen der Zeugen jedoch jeweils für sich genommen keine ausreichenden Realkennzeichen aufgewiesen. Sie seien nicht durch individuell unterschiedliche Wahrnehmungen geprägt gewesen, sondern im Kerngeschehen auffallend gleichförmig. Auffällig sei zudem, dass alle Zeugen in bemerkenswerter Detailtiefe geschildert hätten, welche genaue Position sie selbst bei der Übergabe eingenommen hätten, während die Arbeitnehmerin in den Schilderungen kaum vorkomme. Auch hätten die Zeugen keine anschaulichen Angaben zu einer emotionalen Reaktion oder einem Verhalten der Bürokraft gemacht, obwohl es sich um eine außergewöhnliche Situation gehandelt habe. Die Zeugenaussagen hätten das Gericht nicht von einem tatsächlichen Zugang der Kündigung überzeugen können, LAG Niedersachsen, Urteil vom 26.5.2025, Az. 4 SLa 442/24.