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23. Februar 2023

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung: Gesetzgeber ist am Zug

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Bild: © Redaktionsbüro Schneider/gettyimages.de/Ralf Geithe
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Der rechtliche Nutzen einer arbeitsvertraglich vereinbarten Probezeit ist die Geltung einer 14-tägigen Kündigungsfrist. Diese Frist ist aber nur gültig, wenn die entsprechende Vertragsklausel eindeutig ist.

Worum geht es?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem Urteil vom 14.05.2019 (Az.: C-55/18) entschieden, dass die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet seien, Regelungen zu treffen, nach denen Betrieben aufgegeben wird, ein Zeiterfassungssystem einzuführen, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne. In der juristischen Literatur wurde danach ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass nun zunächst der Gesetzgeber gefordert sei, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu treffen und bis dahin aus Arbeitgebersicht noch nichts zu veranlassen sei.

Exkurs: Ursprüngliche Rechtslage

Dem Urteil des EuGH lag ein Fall aus Spanien zugrunde, dessen Recht in diesem Punkt mit der deutschen Gesetzeslage vergleichbar ist. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) war/ist ein Arbeitgeber nicht verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit seiner Mitarbeiter zu erfassen, sondern gemäß § 16 ArbZG nur die über acht Stunden hinausgehende werktägliche Arbeitszeit sowie die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen.

BAG überholt tatenlosen Gesetzgeber

Der deutsche Gesetzgeber blieb nach dem Luxem­burger Richterspruch untätig. Lediglich im Koalitionsvertrag von 2021 fand sich ein nebulöser Hinweis, dass „im Dialog mit den Sozialpartnern“ geprüft werde, welcher Anpassungsbedarf angesichts der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitszeitrecht bestehe und dass dabei flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) aber weiterhin möglich sein sollten. Mit seiner Entscheidung vom 13.09.2022 hat das BAG die Initiative ergriffen und konstatiert, dass bereits nach geltendem Recht die Arbeitgeber verpflichtet seien, die gesamte Arbeitszeit zu erfassen. Konkrete Vorgaben macht das BAG nicht, lässt aber Tendenzen erkennen. Für Juristen gibt es hier in vielen Punkten Raum für unterschiedliche Interpretationen.

Das sagt das BAG

Das BAG stellte in seiner Entscheidung fest, dass bereits nach derzeit geltendem Recht eine generelle Verpflichtung von Arbeitgebern zur Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer besteht. Diese Pflicht folgert das BAG allerdings nicht aus den speziellen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, sondern aus dem allgemeinen Arbeitsschutz gemäß § 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Danach sind Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Zur Planung und Durchführung dieser Maßnahmen müssen sie für eine geeignete Organisation sorgen und die erforderlichen Mittel bereitstellen. Aus diesen gesetzlichen Vorgaben folgert das BAG, dass Arbeitgeber – dem Urteil des EuGH entsprechend – verpflichtet sind, ein System zu schaffen, das die gesamte täglich geleistete Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst. Das BAG führt Ruhepausen in seiner Entscheidung nicht explizit auf. Diese dürften aber zumindest indirekt über die Aufzeichnung des Beginns und des Endes der Arbeitszeit dokumentiert werden. Ein pauschaler Abzug von Pausen ist eher nicht zulässig.

Form der Erfassung bleibt offen

Für die Frage, wie die Arbeitszeiterfassung konkret erfolgen soll, besteht nach dem Urteil des BAG weiterhin Spielraum. Auch unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung aus dem Jahr 2019 dürfte daher jede Form der Zeiterfassung ausreichen, die allerdings mittels eines „objektiven und zuverlässigen“ Systems erfolgen muss. Trotzdem ist eine elektronische Arbeitszeiterfassung nach Meinung des BAG nicht zwingend erforderlich. Vielmehr kann auch (weiterhin) ein Stundenzettel genutzt werden, um Arbeitszeiten schriftlich zu erfassen. Unternehmen haben bei der Wahl des Zeiterfassungssystems die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Beschäftigten sowie die Eigenheiten des Unternehmens, insbesondere seine Größe, zu berücksichtigen. Das BAG verlangt aber, dass bei der Auswahl und der näheren Ausgestaltung des Arbeitszeiterfassungssystems die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf. Die Kostenfrage allein ist daher für Arbeitgeber kein taugliches Entscheidungskriterium bei der Frage der Auswahl des individuellen Arbeitszeiterfassungssystems.

Situation leitender Angestellter ist nicht geklärt

Keine Antwort liefert die Entscheidung des BAG auf die Frage, ob die Verpflichtung zur Arbeitszeit­erfassung auch für leitende Angestellte gilt. Hier wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass das BAG davon ausgeht, dass leitende Angestellte nicht unter die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung fallen. Ebenso wenig wie Geschäftsführer oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis. Auch insoweit bleibt die – hoffentlich bald auf den Weg gebrachte – gesetzliche Neuregelung abzuwarten.

Delegation der Zeiterfassung ist zulässig:
Kontrolle muss sein

Die Pressemitteilung zum wegweisenden Urteil des BAG ließ Interpretationen dergestalt zu, dass die Pflicht des Arbeitgebers nur darin besteht, das System der Zeiterfassung zu schaffen, die Benutzung aber den Mitarbeitern freigestellt werden kann. Diese Interpretation ist – nachdem nun die Entscheidungsgründe vorliegen – nicht mehr möglich. Das BAG geht zwar zunächst davon aus, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnung der Arbeitszeiten an die Arbeitnehmer delegieren kann. Er darf es jedoch nicht dabei bewenden lassen, das System der Zeiterfassung zur freigestellten Nutzung zur Verfügung zu stellen. Das System muss vielmehr auch tatsächlich genutzt werden. Hier ist zudem von einer Verpflichtung des Arbeitgebers auszugehen, die Nutzung zu kontrollieren – zumindest stichprobenartig. Außerdem sollten die Mitarbeiter ausdrücklich angewiesen werden, ihre Arbeitszeiten ordnungsgemäß zu erfassen.

Vertrauensarbeitszeit ist weiterhin erlaubt

Die in vielen Unternehmen je nach Tätigkeit und Hierarchieebene praktizierte Vertrauensarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass keine Zeiterfassung stattfindet und auch kein Arbeitszeitkonto geführt wird. Dem Mitarbeiter wird lediglich ein gewisser täglicher Zeitrahmen vorgegeben, in dem gearbeitet werden kann. Alles Weitere kann der Arbeitnehmer selbst bestimmen. Mit Ausnahme bezüglich der leitenden Angestellten ist die Vertrauensarbeitszeit zukünftig nicht mehr in der Form zulässig, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten generell nicht erfassen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Vertrauensarbeit mit freier Planung der Zeiteinteilung künftig gar nicht mehr möglich ist, sondern nur, dass auch im Modell der Vertrauensarbeitszeit tätige Beschäftige zukünftig ihre Arbeitszeiten zu erfassen haben und der Arbeitgeber diese Zeiten auch kontrollieren muss. Verstöße gegen die Höchstarbeitszeiten oder gegen die ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit waren schon vor der Verschärfung der Rechtslage grundsätzlich unzulässig und unterlagen außerdem schon immer der Aufzeichnungspflicht nach § 16 ArbZG.

Sanktionen sind (noch) nicht zu befürchten

Sanktionen müssen wegen eines Verstoßes gegen die Arbeitszeiterfassungspflicht nach gegenwärtiger Rechtslage nicht unmittelbar befürchtet werden. Verstöße gegen das ArbZG sind zwar mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 € sanktioniert. Da das BAG die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung jedoch nicht aus dem Arbeitszeitgesetz herleitet, sondern aus dem Arbeitsschutzgesetz, scheidet das ArbZG als gesetzliche Grundlage für die Verhängung eines Bußgeldes aus. Ein Verstoß gegen § 3 ArbSchG, die Vorschrift, mit der das BAG eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung begründet, ist hingegen nicht bußgeldbewehrt.

Arbeitsschutzbehörden können Anordnungen treffen

Es ist allerdings denkbar, dass die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden im Rahmen von Routinebesichtigungen und -überprüfungen von Betrieben auch die neuen Vorgaben zur Zeiter­fassung überprüfen. Wird bei der Überprüfung ein Verstoß festgestellt, kann die Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Pflichten treffen muss. Erst wenn die zuständige Behörde die Einführung des Arbeitszeitsystems angeordnet hat und der Arbeitgeber einer Anordnung zuwiderhandelt, kann ein Bußgeld bis zu einer Höhe von 30.000 € verhängt werden.

Offenbar will es sich die Politik – wohl in Folge des Urteils des BAG – jetzt doch nicht nehmen lassen, das Thema Arbeitszeiterfassung selbst in die Hand zu nehmen. Noch im Frühjahr 2023 soll ein erster Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) für ein neues Arbeitszeitgesetz vorgelegt werden, das dann hoffentlich die gewünschte Klarheit für die betriebliche Praxis bringt.

Annemarie Böttcher

Annemarie Böttcher